Die statiöse braune Stute und ihre schneeweiße Gefährtin bewegen sich – Kopf unten – langsam vorwärts auf sattgrüner Weide am sonnigen ersten Mai. Es schmeckt unüberhörbar. Zwei “Holsteinerinnen” wie man sie in Kollmar an der Elbe und andernorts häufiger mal antreffen kann. Nichts lässt erkennen, dass die Pferdedamen aus buchstäblich allerfeinster Familie stammen und lediglich die etwas unterschiedliche Bemuskelung macht deutlich, dass die große Braune eine Sportlerin ist – eine Derbysiegerin.
Vom 17. – 21. Mai findet in Hamburg-Klein Flottbek das Deutsche Spring- und Dressur-Derby statt. Hamburg ist die Derby-Hauptstadt Deutschlands. Nur hier gibt es “Derbys” für Dressur, Springen und Galopp und das ist gleichermaßen Alleinstellungsmerkmal für die Hansestadt wie auch für den Pferdesport. Fast genau sechs Jahre ist es her, dass die braune Holsteiner Stute Zera mit einem damals für Slowenien startenden Argentinier namens Patrizio “Pato” Muente Geschichte schrieb und das 88. Deutsche Spring-Derby gewann. Als erst zweiter Argentinier überhaupt in der Geschichte des Deutschen Spring-Derbys. “Ich habe als Junge davon geträumt, ich kann nicht fassen, dass ich es geschafft habe”, lachte Muente und hörte überhaupt nicht auf, die Qualitäten “seiner” Zera anzupreisen, die er zuhause in Soltau ausgebildet hat..

Zera produziert Schlagzeilen
Die 154. Null-Runde im Umlauf und dann die fehlerfreie Runde im Stechen der besten Drei bescheren Muente und dem Züchter Harm Thormählen unvergeßliche Glücksmomente, überschäumende Freude und Schlagzeilen. Noch zwei Stunden nach dem Triumph war Harm Thormählen “ganz aus dem Häuschen”, sprudelten der Reiter wie auch der Züchter von Zera förmlich über. Noch Tage danach ging es weiter, denn sowohl in Slowenien, als auch in Argentinien und in Deutschland sowieso, waren Zera und Pato Muente das Sportthema schlechthin. Bereits ein Jahr zuvor landete das Paar unter den Top-Ten in Hamburg. 2017 gingen Reiter und Züchter gemeinsam den Parcours ab – Feedback von außen kann nützlich sein, auch wenn man die Aufgabe gut kennt.

Der Züchter Thormählen hat die Derbysiegerin Zera nun zurück in Kollmar, die jetzt 16 Jahre alte Tochter des Cero I (v. Calido) aus der Holsteiner Stute Kleine Cera von Calato. Dort wo sie geboren ist, darf sie bleiben, Fohlen bekommen, wenn alles gut geht. Victoria Vargas aus Venezuela erwarb Zera nur knapp einen Monat nach dem furiosen Derbysieg am 28. Mai 2017 und vereinbarungsgemäß hat sie die Stute nach dem Ende der Sportlaufbahn wieder ihrem Züchter überantwortet und zwar in Top-Fasson, gesund und putzmunter.
Zukunftsplanung für Zera
“Ich denke, wir lassen sie wohl von Connor decken”, sinniert Harm Thormählen am 1. Mai, runzelt ein wenig die Stirn angesichts seines “Neuzugangs” und stellt sich selbst die Frage, ob Zera vielleicht doch ein “ ganz bisschen zu rund” sei? Wie beantwortet man das? Dem Pferd ist es völlig schnuppe, nix mit Body-Shaming oder so. “Nun – sie ist ein klein wenig über dem guten Erhaltungszustand,” mumelt die Autorin angesichts der genüsslich grasenden Zera, denn “dünne” Thormählen-Pferde müsste man in Kollmar ohnehin mit der Lupe suchen….

Sister-Act: Ornellaia ist auch wieder zuhause
Nur wenige Meter entfernt im ganz normalen ländlichen Stall ist die Box von Ornellaia von For Pleasure, Zeras berühmter Schwester. Die 18 Jahre alte Stute ist zwar keine Derby-Siegerin, dafür aber GP-Siegerin und Olympiapferd (Rio 2016) von John Whitaker und gehört der in Großbritannien lebenden Haya von Jordanien, die seit vielen Jahren die züchterische Kompetenz der Familie Thormählen schätzt. Eines Tages klingelte das Telefon in Kollmar und die Prinzessin fragte, ob Ornellaia an ihrem Geburtsort wieder willkommen sei. Beide Stuten haben die gleiche Mutter – Kleine Cera – und damit auch die gleiche, weltberühmte Großmutter – Fein Cera. Unter Peter Wylde bestes Pferd der Weltmeisterschaften 2002 in Jerez ohne irgendeinen Springfehler im Pferdewechsel und bei den Olympischen Spielen in Athen mit Team-Bronze erfolgreich. Zuvor bei Philipp Baumgart in Ausbildung und unter Karsten Huck im Landeschampionat siegend, sowie in ersten größeren Springen. Im Weltcup und in Nationenpreisen glänzten Peter Wylde und Fein Cera bis die Stute wieder zurück nach Kollmar kam und ihren Lebensabend bei ihrem Züchter verbrachte. Fein Ceras Mutter Cera gewann mit Otto Becker den Nationenpreis in Aachen und die Deutschen Meisterschaften. Kurz und gut – besser geht es nicht.

Generationensache Pferdezucht
Diese Stutenlinie ist der Holsteiner Stamm 3615, einer von dreien auf dem Hof Thormählen. Kennzeichnend für den Stamm, bei dem man weit hinten über Capitano väterlicherseits auch auf Retina – Derbysiegerin unter dem legendären Fritz Thiedemann – stößt, sind der Mut und das Springvermögen. Das eine nützt nicht viel ohne das andere. Die Häufung von Leistungspferden wie sie in Kollmar gezüchtet werden, ist alles andere als Zufall und lebt durch das von Generation zu Generation weitergegebene Wissen, dadurch, das man mit den allerbesten Stuten züchtet, sowie durch Intuition, Fleiß und kritisches Bewusstsein.
Von Harm Thormählen aus geht es in Kollmar inzwischen weiter mit dem Neffen Philipp Baumgart, dessen Pferde-Know-How praktisch erblich bedingt ist. Und manchmal hängen Glücksgriffe auch vom Bauchgefühl und vom Zufall ab. Hätte z.B. Harm Thormählens Vater Rehder die Holsteiner Stute Rappel in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht vom Pferdemetzger weg gekauft, dann hätte es auch deren Tochter Vase und die Enkelin Folia auf dem Hof nicht gegeben, die mit Capitano den Jahrhunderthengst Capitol gebracht hat. Der ist übrigens Zeras und Ornellaias Urgroßvater und steht als lebensgroße Bronzeskulptur vor dem Hof Thormählen – ein Sinnbild für den Pferdeverstand. Martina Brüske
(Fotos: M. Brüske/ Stefan Lafrentz)