Otto Becker: Der deutsche Bundestrainer der Springreiter aus Großostheim sieht das deutsche Team mit Chancen bei den Olympischen Spielen
Volles Haus bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung in Warendorf. 120 Tage vor dem Beginn des ersten Reiterwettkampfs bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro stehen die Bundestrainer, einige mögliche Olympia-Athleten und der Geschäftsführer des Deutschen Olympia-Komitees für Reiterei (DOKR), Dennis Peiler, Rede und Antwort. Auch der gebürtige Großostheimer Otto Becker (57) ist vor Ort.
Der Bundestrainer und Equipe-Chef der Springreiter in Rio sieht die Deutschen »gut gerüstet« für die Freiluftsaison, in der sehr spät – nach dem CHIO in Aachen Mitte Juli – die Nominierung der fünf Olympiateilnehmer pro Reitdisziplin erfolgt. »Eine Mannschaftsmedaille« nennt Becker als Ziel der deutschen Springreiter, die bei den vergangenen Olympischen Spielen leer ausgingen. Damit läge sein Team in der Vorgabe des DOKR, das laut Dennis Peiler drei bis fünf Medaillen von den deutschen Reitern in Rio erwartet.
Am Rande der Pressekonferenz gab Otto Becker dem Medienhaus Main-Echo einen Einblick in seine kommenden Aufgaben und blickte etwas über Rio hinaus.
Herr Becker, der letzte deutsche Einzelsieg eines Springreiters bei Olympischen Spielen war 1996. Wie groß sind denn die Chancen auf den nächsten deutschen Einzelsieg?
Da muss ich nachdenken, bei der Mannschaft weiß ich das besser (Becker war im Jahr 2000 im Team beim letzten deutschen Mannschaftsolympiasieg, d. Red). Die Chancen sind da. Aber im Vordergrund steht für uns die Mannschaft. Wichtig ist, dass wir mit einem funktionierenden Team nach Rio kommen. Das haben wir die letzten Jahren geschafft. Erst kommt die Mannschaftsentscheidung. Und das Ziel ist eine Mannschaftsmedaille. Alles andere ist Zugabe. Aber ich denke, wir haben eine gute Truppe, wie es im Moment aussieht. Es sind aber noch ein paar Monate. Wichtig ist, dass alle gesund bleiben und die Reiter die nötige Form haben. Dann haben wir sicherlich auch Chancen auf eine Einzelmedaille oder einen Einzelsieg.
Eine deutsche Tageszeitung hat 200 Tage vor Beginn der Olympischen Spiele die deutschen Dressur- und Vielseitigkeitsreiter zu den Favoriten gezählt, den deutschen Springreitern aber nur Außenseiterchancen eingeräumt.
Ich denke sowohl bei der Dressur als auch bei der Vielseitigkeit ist das so. Das haben die Deutschen die letzten Jahre bewiesen. Wir Springreiter waren auch nah dran. Wir hatten in den letzten Jahren viele Erfolge. Ich sehe also durchaus unsere Chancen, aber ich kann mit einer Außenseiterrolle sehr gut leben. Wir bereiten uns konsequent vor und wollen dann auch eine Medaille gewinnen.
Die heiße Phase der Nominierung fängt jetzt erst an. Haben sie dennoch schon ein Team, oder zumindest das Gerüst des Teams im Kopf?
Ja klar. Wir haben einen A-Kader. Das ist der Kern, aber keine geschlossene Gesellschaft. Da sind auch noch ein, zwei Anwärter, die anklopfen, die bei guten Leistungen in den kommenden Monaten noch reinkommen könnten. Aber der A-Kader ist der Kern, der bei den Nationenpreisen (Teamwettbewerbe, d. Red.) eingesetzt wird und den wir sichten werden. Im Juli wird dann nominiert.
Worauf legt der Bundestrainer Springreiten dabei wert? Das breite Publikum schaut eher auf die Namen der Reiter, aber der Bundestrainer muss wohl auch die Pferde im Blick haben. Welche Kriterien spielen eine Rolle?
Der beste Reiter ist nichts ohne ein Pferd, das zu ihm passt. So sehen wir die Paare. Mancher Reiter hat zwei oder drei Pferde, die in Frage kommen. Uns ist die Konstanz wichtig. Das Paar muss aber auch die nötigen Null-Fehler-Runden zeigen. Es wird immer eng, es wird immer spannend. Daher ist es wichtig, dass wir wissen: Das sind Paare, auf die wir uns verlassen können – die die Konstanz und die Qualität haben, um in den entscheidenden Momenten ihre beste Leistung abzurufen. Das versuchen wir auf den Turnieren zuvor herauszufinden, wo auch Druck ist, etwa bei den Nationenpreisen: Ob sie diesem Druck standhalten und die Qualität haben, dabei gute Ergebnisse zu liefern.
Im vorigen Jahr waren sie nach dem zweiten Platz bei der EM ein klein wenig enttäuscht. Damals haben sie sinngemäß gesagt, dass das Team eine sehr gute Leistung geliefert hat, aber etwas zu ausgeglichen – dass also das Spitzenergebnis gefehlt hat. Die Spitze ist im Springreiten recht breit: Muss man riskanter agieren, auch bei der Nominierung, um ganz vorne zu landen?
Das sehe ich nicht so. Wir hatten ja die Besten nominiert. Ich bin jetzt im achten Jahr Bundestrainer, wir waren in dieser Zeit Europameister, wir waren Weltmeister. Die letzten zwei Jahre verliefen etwas unglücklich: Wir waren auf der WM Vierter, auf der Europameisterschaft in Aachen unglücklich Zweiter. Die Enttäuschung war im ersten Moment da, doch kurz danach war klar: Wir haben nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen. Wir haben sowohl vor zwei Jahren als auch voriges Jahr eine herausragende Teamleistung abgeliefert. Es zählen von den vier Reitern ja immer nur drei, wenn alle gezählt hätten, hätten wir gewonnen. Das haben wir nicht, die anderen haben es besser verteilt. Da brauchen wir uns auch nicht beschweren. Das zeigt aber, dass das Team intakt war und die Runden konstant waren und die Qualität da war. Wir haben es nur nicht gut genug verteilt. Wenn wir ganz vorne stehen wollen, müssen wir es halt noch ein bisschen besser machen. Wir hatten es sowohl vor zwei Jahren als auch voriges Jahr in der eigenen Hand. Diesen Matchball haben wir nicht genutzt. Wichtig ist, dass wir ein Team an den Start bringen, das qualitativ gut und konstant ist und dann sind wir auch irgendwann wieder dran.
2012 lief es für die deutschen Springreiter nicht so gut in London. Welche Lehren haben sie daraus gezogen?
Wir haben das analysiert, aber wir konnten im Nachgang nicht sagen, was wir hätten anders machen oder managen sollen. Wir hatten viele Ausfälle aus verschiedenen Gründen, nicht nur gesundheitsbedingt. Am Ende braucht man auch das Quäntchen Glück, dass die besten Paare gesund bleiben und eine gute Form haben. Wir versuchen, das Risiko zu minimieren – über Langfristplanung, über Gespräche mit den Reitern, über die Tierärzte, damit die Pferde genug Pausen haben, damit sie frisch sind. Das sind viele Punkte, die man mit allen handelnden Personen über Monate bespricht. Aber man kann es am Ende leider nicht ganz so steuern oder beeinflussen, wie man es gerne hätte. Wichtig ist, dass alle gesund bleiben und im richtigen Moment ihre Top-Form haben.
Sie sagten, momentan sind sie mit den Leistungen zufrieden. Gibt es auch Probleme?
Die Leistungen in den letzten Wochen und Monaten waren in der Tat sehr gut. Wir haben die meisten großen Preise in den letzten sechs Wochen gewonnen. Marco Kutscher hat in Hongkong gewonnen, Marcus Ehning Hertogenbosch, Ludger Beerbaum in Doha. Im Weltcupfinale hatten wir einen Top-Auftritt mit drei Reitern unter den besten sechs. Aber dafür können wir uns nichts kaufen, das zählt nicht Richtung Olympia. Da werden die Karten neu gemischt.
Quelle und weiterlesen: http://www.main-echo.de/sport/reitsport/art12982,4054610