(Ahlhorn) Ein “großer Wurf” ist sie politisch wie auch juristisch für die Kritiker eher nicht, die seit dem 22. November 2022 geltende neue Gebührenordnung für Tierärztinnen und Tierärzte (GOT). In die Kritik geraten sind vor allem die Hausbesuchsgebühr wie auch Kostensteigerungen von bis zu 300 Prozent für tierärztliche Leistungen. Aus rechtlicher wie auch politischer Sicht diskutiert und erörtert wurde die GOT nun im niedersächsischen Ahlhorn auf Betreiben einer Initiative von Pferdehaltern, Zucht- und Ausbildungsbetrieben im Rahmen einer offenen Veranstaltung. Überraschende Erkenntnis: Wohl formulierter Protest muss sich an die jeweils zuständigen Ministerien der Länder richten. Auch eine Erkenntnis: Mit Tierärzten zusammen sind die Erfolgsaussichten auf eine Überarbeitung möglicherweise besser, als gegen einen Berufsstand.
So ganz neu ist die Empörung nicht, der Dachverband der Vollblutzucht, Deutscher Galopp (Köln) hat ein zügig beim Sachverständigen und Rechtsanwalt Kai Bemmann in Verden beauftragtes Rechtsgutachten zur neuen GOT schon im Frühjahr auf direktem Weg an das Bundeslandwirtschaftsministerium geleitet. Mit einer solchen Reaktion war man schneller als die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) in Warendorf, in der Sache sind sich die Dachverbände im Prinzip einig.
Die Initiatoren der Debatte
Die aktuelle Initiative zur Überprüfung der GOT ist privater Natur. Namentlich Züchter Jens Thormählen und eine Reihe von Mitstreitern und Mitstreiterinnen haben seit Februar 2023 akribisch tierärztliche Abrechnungen quer durch die Republik gesammelt, zugesendet bekommen, haben gerechnet und nachgefragt. Tierärzte und -ärztinnen wurden hinzugezogen, Kontakt in die Politik – sprich zu Bundestagsabgeordneten wie Susanne Mittag (SPD) und Albert Stegemann (CDU) – aufgenommen, der Vorsitzende des Clubs Deutscher Springreiter, Jan Wernke, wurde angesprochen und auch die Kontakte zu anderen Tierhaltern geknüpft. Millionen Haushalte in Deutschland gehören zu den Tierhaltern, vom Kaninchen bis zum Pferd – betroffen sind alle von den Veränderungen durch die GOT.
In Ahlhorn hörten am Mittwochabend auch die Pferdezuchtverbände aus Westfalen, Oldenburg, Hannover und Holstein genau hin, Vertreter von Hengsthaltervereinigungen und Pferdesportverbänden bis in regionale Gruppierungen. Und dort “brennen” die Folgen der neuen GOT vielen unter den Nägeln: Walter Kind, Vorsitzender des Bremer Pferdesportverbandes, brachte es auf den Punkt: Die Kostensteigerungen seien sowohl für den ländlichen Turniersport, als auch für Schul- und Vereinsbetriebe der “Anfang vom Ende”. Kosten für den Turniertierarzt, für die Pflichtimpfungen der im Sportbetrieb eingesetzten Pferde – all das sei nicht aufzufangen. Zumal Kinder, Jugendliche und Erwachsene auch ganz ohne Turniersport Spaß mit Pferden haben können – auch wenn das lieber keiner laut sagt.
Recht und Verordnung
Rechtsanwalt Kai Bemmann und seine Kollegin Dr. Anne Schmidt aus Verden – die für Deutscher Galopp das Rechtsgutachten erstellten – erläuterten eindrücklich den Verordnungsprozess, bzw. die ausgemachten handwerklichen Schwächen, sowie die verfassungsmäßigen Grundsätze für das Zustandekommen einer Verordnung wie der GOT. Als Entwurf geisterte das Papier seit 2012 in ministerialen Schubladen im damals noch von Julia Klöckner (CDU) geführten Landwirtschaftsministerium herum und wurde nach Beauftragung einer Studie durch das AFC von Klöckner-Nachfolger Cem Özdemir (Bündnis90/ Grüne) in den Fachausschuss geleitet – praktisch unverändert. 25 Stakeholder (Anspruchs- und Interessengruppen) wurden angesprochen, fünf Interessenverbände äußerten sich schriftlich und eine Anhörung – so MdB Albert Stegemann – habe es de facto überhaupt nicht gegeben.
“Kuriose” Folgen
Erstaunlich, allerdings wenig unterhaltsam, muten die Folgen für den Berufsstand der Veterinäre an. Für die Überwachung der Einhaltung der GOT sind die Landestierärtzerkammern zuständig, die – sofern sie zu dem Schluss kommen, dass eine Verordnung rechtswidrig ist – die Anwendung durchaus aussetzen dürften. Das ist bislang nicht passiert. Im Gegenteil – in mehreren Ländern wurde durch die Kammern bereits dazu aufgefordert, Tierärzte zu melden, die nicht auf Heller und Pfennig genau nach der neuen Gebührenordnung abrechnen. Landläufig sagt man “anschwärzen” dazu und das ist Veterinären bereits passiert. Die Ansichten zur GOT innerhalb des Berufsstandes sind – wenig überraschend – deutlich geteilt. Das unterstrich auch FN-Tierärztin Henrike Lagershausen unumwunden, die gemeinsam mit Bernhard Feßler, Leiter des FN-Hauptstadtbüros, nach Ahlhorn gekommen war.

Erstes Fazit
Noch ist kein Rechtsstreit wegen einer nicht bezahlten Tierarztrechnung durch einen Halter anhängig. Was passiert, wenn ein Veterinär gegen einen Halter aus diesem Grund klagt, könnte eine spannende Thematik werden, wie Kai Bemmann unterstrich. Die Diskussion sowohl mit der Politik, als auch mit den zuständigen Ministerien und Kammern voran zu treiben, ist nun das Ziel der Initiative, die eine Überprüfung der GOT anstrebt.
Allein die Pferdewirtschaft ist ja schon ein Markt: mit geschätzten 6,7 Milliarden Euro beziffert eine Ipsos-Studie aus dem Jahr 2019 die Umsätze. Dabei entfallen rund 39 Prozent auf die Pferdehaltung und 61 Prozent auf die Bereiche Einzelhandel und Dienstleistungen. Hinzu kommen im Bereich Tierhaltung Kleintierhalter/innen in ganz Deutschland.
Schon am 17. September 2022, also gut zwei Monate vor Inkrafttreten der neuen GOT, berichtete die ARD Tagesschau in einem Beitrag über das Aufkaufen und die Übernahme von Tierarztpraxen und -Kliniken durch Ketten und Beteiligungen (Anicura, Evidensia u.a.), hinter denen die Konzerne Mars und Nestlé stehen. Nestlé Purina PetCare ist ja auch im Tierfutterbereich eine Größe. In welchem Umfang die Tierversicherer ihre Beitragsberechnungen anpassen, steht derzeit noch gar nicht fest. Der Markt “Tier” ist ertragreich. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt. Und wem der Gedanke kommt, die Lobbyisten dieser Ketten, Beteiligungen und Konzerne hätten ihre Hausaufgaben, “zu wissen was läuft”, pünktlich erledigt, irrt sich möglicherweise nicht.
(Fotos: pixabay/ M. Brüske)